Doktoren, Oberamtsärzte und Medizinalräte
(unveröffentlicht)
konsultierte Eduard Mörike wegen seiner stetigen "Unpäßlichkeit" ebenso
wie Homöopathen und Pfarrer mit heilenden Händen. Auf den Rat seiner Freunde Hartlaub
und Kerner suchte der an rheumatischen Beschwerden und Fußlähmungen leidende Mörike im
Sommer 1848 seinen alten Freund Johann Christoph Blumhardt (1805-1880) auf, der mit
spektakulären Heilungen durch Gebete und Handauflegen ebenso für Aufsehen gesorgt hatte
wie mit der Befreiung eines ganzen Dorfes von Poltergeistern und dämonischen
Erscheinungen. Ganze Scharen von Kranken und Hilfsbedürftigen sollen ihn aufgesucht und
fast immer geheilt wieder verlassen haben. Auch Mörike kam in den Genuß der
Spontanheilungen. Es wird berichtet, Blumhardt habe auf dem gemeinsamen Spaziergang
mehrmals den Arm auf Mörikes Schulter gelegt, der sich danach "auf eine auffallende
Art gekräftigt" fühlte, so daß die anschließende Kur in Bad Teinach zu einer
Nachkur wurde. Die Liste der Mediziner, die Mörike im Laufe seines Lebens behandelten
oder es zumindest versuchten, ist lang, und kein zweites Mal wird von so einer
spektakulären "Heilung" des Patienten berichtet.
Zunächst weist in Mörikes Lebenslauf auch nichts darauf hin, daß er zum
Dauerpatienten werden und einmal als stets kränkelnder Dichter-Pfarrer in die
Literaturgeschichte eingehen sollte. "Die äußerste Gelindigkeit des Übels und die
dagegen getroffene Einrichtung" hatten den Seminaristen Mörike die
Scharlach-Erkrankung im Uracher Stift nach den Worten des Oberamtsarztes Hiller
(1773-1819) gut überstehen lassen, und schon bald durfte er die Krankenstube verlassen
und seine Freunde besuchen, die er mit "phantasiereichen Erzählungen"
unterhielt. Das nicht viel später auftretende, lebenslängliche Augenleiden äußerte
sich als "Doppelbildsehen" und machte dem Studenten Mörike schwer zu schaffen.
In einem persönlichen Brief an den ihm damals noch nicht bekannten Justinus Kerner
schildert er seine Sorgen. Kerners Heilkraft war bekannt und Mörike fühlte sich schon
bald so geholfen, daß er eine Besserung seines Augenleidens empfand.
Waren diese Arzt-Patient Beziehungen nur von kurzer flauer, so ist Mörikes
neunjähriger Aufenthalt in Cleversulzbach vor allem mit dem Namen des dortigen
Oberamtsarztes, Karl Ludwig Elsässer (1808-1874), verbunden. Nach dem frühen Jod seiner
Eltern war er zusammen mit seinen Geschwistern im Haus der Witwe Wilhelmine Hedwig Hauff
(1773-1845) in Tübingen aufgewachsen und hatte zur gleichen Zeit wie sein Cousin Wilhelm
Hauff und Eduard Mörike dort studiert; sie hatten also gemeinsame Bezugspunkte. Elsässer
wurde Mörikes Hausarzt und behandelte ihn mit den damals modernsten medizinischen
Methoden. "Nervenschwäche" und "Blutandrang" mit anschließendem
"Rückenmarks-Schlaganfall" kurierte er mit Quecksilber, setzte Elektroschocks
ein, griff zu Blutegeln und verschrieb Mörike Erholungskuren wegen des "anhaltenden
lästigen Gefühls von Schwäche und Schwindel". Aus Bad Mergentheim schrieb Mörike
über den Erfolg: "Die kristallhelle Quelle flößte mir am andern Morgen gleich den
ganzen Unrat aus der Seele." Der dankbare Patient widmete Elsässer das Gedicht:
"An meinen Arzt, Herrn Dr. Elsässer", das mit den Zeilen beginnt:
"Siehe! da stünd ich wieder auf meinen Füßen, und blicke
Froh erstaunt in die Welt, die mir im Rücken schon lag!"
Noch während seiner Jahre in Cleversulzbach suchte Mörike den damals berühmten Arzt
Karl Eberhard Schelling (1783-1854) in Stuttgart auf, dessen Bruder, der Philosoph, bei
den Gartengesellschaften von Mörikes Onkel Georgii Vorträge gehalten hatte. Zu
Schellings Patientinnen gehörte auch Christiane, die "gemütskranke" Schwester
Friedrich Hegels. Und auch Mörikes Gemüt war von Schelling schon behandelt worden - 1824
nach seinem "Peregrina"-Erlebnis. Jetzt kam er zu diesem Freund der Familie, um
sich mit ihm über die Erfolgsaussichten einer der sehr oft angewendeten Kaltwasserkuren
des Naturheilkundigen Vincenz Prießnitz zu besprechen. Der Obermedizinalrat Schelling,
wie sein Bruder ein Vertreter der naturphilosophischen Richtung in der Medizin, ging mit
seinen Patienten "sanft und zart" um, ließ der Natur am liebsten ihre eigenen
Wege gehen, verzichtete auf Reizmittel und griff nur insofern in den Heilungsprozeß ein,
als daß er die Genesungskräfte des Kranken stärkte. Schelling riet Mörike von den
Kaltwasserkuren ab, und die "Mörike-Chronik" vermerkt keine weiteren
Konsultationen bei ihm, obwohl vielleicht gerade er mit seinen Ansichten von Krankheit und
Gesundheit Mörike hätte helfen können.
1843 verließ Mörike nicht nur Cleversulzbach, sondern auch den ungeliebten
Pfarrdienst für immer. Die nächste Lebensstation war Bad Mergentheim, wo der Hofrat
Friedrich Krauß (1803-1885) sein Haus- und Leibarzt wurde. Die Familien pflegten einen
lockeren gesellschaftlichen Umgang miteinander, ohne daß es zu freundschaftlich-engen
Beziehungen kam. Mörike verstand sich nicht sehr gut mit dem Ehepaar Krauß, was
vielleicht in dem bekannt rüden Umgangston des Doktors begründet war, vor allem aber an
der Ehefrau des fürstlichen Hofrats gelegen haben soll, "die allen mit ihrem
unerträglichen Geschwätz auf die Nerven ging". Wilhelm Hartlaub nannte sie in
seinem Tagebuch: "Frau Dr. Unendliches Reden über die Ihren und das Ihre".
Obwohl sich Krauß seine ärztlichen Leistungen von Mörike nicht bezahlen ließ,
änderte sich dessen Zurückhaltung nicht, brachte dem Herrn Hofrat aber das Gedicht
"Herrn Hofrat Dr. Krauß" ein. Nach wie vor hatten die Mörikes großes
Vertrauen in ihren Neuenstadter Arzt Elsässer, an den sich Klara im Herbst 1845 nach
einer Erkrankung um Rat wandte, weil Krauß "nichts daraus zu machen " wußte,
wie Mörike der Familie Hartlaub schreibt.
1851 zog der nun verheiratete Mörike mit seiner Frau Margarethe und Schwester Klara
nach Stuttgart. "Kummer und Verstimmungen", die nach einem Anfall von Brechreiz
und Diarrhöe seine Gesundheit belasteten, ließen Mörike zunächst seinen Freund aus
Ludwigsburger Kindertagen, den Kgl. Hofarzt Hermann Hardegg (1808-1853), aufsuchen, sein
Hausarzt aber wurde Wilhelm Fetzer (1814-1892). Mörikes wohnten im gleichen Haus
(Hospitalstr. 36), in dem Fetzer seine Praxis hatte, und schon bald entstand ein enger
Kontakt zwischen den Familien. Auf der stetigen Suche nach Hilfe und Besserung suchte
Mörike im Sommer 1856 die galvano-magnetische Heilanstalt von Justinus Kerners Sohn
Theobald in Cannstatt auf und begab sich nach dessen Umzug nach Weinsberg in die
Behandlung von Wilhelm Diez (18o9-1884). Diez führte eine große Praxis in Stuttgart,
soll ein anerkannter Arzt gewesen sein, auch wenn er der "in Württemberg damals noch
wenig angewandten" homöopathischen Heilmethode den Vorzug gab. Mörike scheint er
nicht geholten zu haben, denn er kehrte nach diesem "unglücklichen Intermezzo"
wieder zu seinem alten Hausarzt Fetzer zurück, der ihn von nun an betreuen sollte. Im
Sommer 1867 trug ein Gespräch mit ihm entscheidend dazu bei, daß Eduard Mörike mit
seiner Frau wegen der dort erhofften Ruhe "heimlich nach Lorch" zog. Fetzer aber
blieb weiterhin der Arzt der Familie Mörike, die immer wieder von Lorch zur Behandlung
nach Stuttgart reiste. Er versuchte, Margarethe Mörikes Magenkrämpfe zu lindern,
behandelte Klaras Augenentzündung, verordnete ihrem Bruder Fetteinreibungen gegen seine
Schmerzen in der Hüfte und kam während der Gelbsucht-Erkrankung von Tochter Marie fast
täglich ins Haus.
Wilhelm Fetzer war der letzte Arzt, der Mörike behandelte. Er kam in den letzten zwei
Wochen vor Mörikes Tod oft zweimal am Tag, verordnete Salzbäder, die nicht mehr halfen
und gab dem Kranken schließlich Beruhigungsspritzen, die die Lähmungserscheinungen an
Beinen und Armen zurückgehen ließen. Trotz Fetzers Behandlung wurde Mörike immer
schwächer, und auch der von Klara noch alarmierte Arzt und Leiter einer psychiatrischen
Klinik, Albert Zeller (1804-1877), konnte nichts mehr ausrichten Mörike starb am 4. Juni
1875; über die genaue Todesursache haben sich die Ärzte nicht geäußert, wohl wegen
mangelnder sicherer Erkenntnisse nicht äußern können.
[Breyersches Landhaus]
[Gewitter] [Doktoren ...]
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